Werkzeugkoffer

Öffnungsprozesse in Seniorenbüros

Viele Seniorenbüros haben als Teil größerer Strukturen mit interkulturellen Öffnungsprozesse begonnen. Auch diese Öffnungsprozesse gewinnen durch eine Reflexion des Themas Othering an Qualität. Beispielsweise indem die verantwortlichen Personen zunächst sich selbst und dann auch die Strukturen und Vorgehensweisen in ihrem jeweiligen Kontext betrachten und verändern.

Als Mitglied einer Organisation kommen damit weitere Herausforderungen hinzu, weil nun das Individuum zusätzlich mit seiner beruflichen Funktion wahrgenommen wird.

Umgang mit Othering als Mitglied einer Organisation

Die an GeKuVi beteiligten Standorte zeichneten sich von Anfang an durch eine hohe Diversitätsüberzeugung aus. Nahezu alle hauptamtlich oder ehrenamtlich Engagierten traten seit vielen Jahren für eine demokratische und vielfaltsorientierte Gesellschaft ein. Diese Standorte haben sich über die Fortbildungen innerhalb des Projektes auf den Weg einer rassismuskritischen Organisationsentwicklung begeben und sind gewillt, diesen weiterzugehen.

In vielen Anträgen, Leitbildern etc. steht das Wort „interkulturell“ oder „Empowerment“ und/oder die Finanzierung zielt auf die Förderung bisher benachteiligter Personengruppen ab. Auch wenn die Förderung von benachteiligten Gruppen notwendig und wünschenswert ist, birgt dies auf kommunikativer Ebene ein Risiko. Durch die Benennung wird eine Gruppe als solche wieder markiert und dies führt zu dem Dilemma, dass durch die Kommunikation wiederum eine Reproduktion von Ungleichheit entstehen kann.

Zentral ist daher die Frage: Wie können vor diesem Hintergrund Personen angesprochen werden, die wahrscheinlich tagtäglich spezifische Formen von Ausgrenzung erleben und damit zur Zielgruppe gehören, ohne dass sich diese Menschen erneut oder wiederholt zu Betroffenen gemacht fühlen?

Kommunikationsstrategien: Ansprache von betroffenen Menschen

Ein Bewusstsein für die eigene Positioniertheit in Kombination mit folgenden kommunikativen Strategien verringert oder vermeidet Othering:

  • Zeitpunkt: Lernen Sie den Menschen zunächst einmal kennen, bevor kategorisierende Fragen, wie zum Beispiel nach der Herkunft oder Religionszugehörigkeit, gestellt werden.
  • Erlaubnis: Es gibt Menschen, die als Anders markiert werden, darunter leiden, und gleichzeitig bereit sind, sich einzubringen. Transparent zu machen, warum eine Ansprache aufgrund von welchen Merkmalen erfolgt, unterscheidet sich von der Frage: „Darf ich Sie mal was fragen?“ Diese wirkt häufig wie ein Alarmsignal für einen kategorisierenden Gesprächsverlauf.
  • Kompensation: Ein achtsames Gespräch über die gewünschte Kompensation ist lohnenswert. Oft können keine Gelder für einen Beitrag oder Leistung angeboten werden. Ehrenamt muss sich ein Mensch aber auch erst leisten können und für viele Betroffene ist das nicht möglich. Nicht hilfreich ist, wenn irgendwo am Schreibtisch entschieden wird, dass „die“ dadurch ja auch „Erfahrungen“ bekommen, die als Referenz hilfreich sind, oder „die“ ja dafür auch an Fortbildungen teilnehmen. Diese Vorgehensweise stellt keine Augenhöhe dar. Die Angesprochenen möchten vielleicht lieber eine feste Anstellung statt einer „Fortbildung“. Durch ein Gespräch kann dieser Wunsch zumindest anerkannt und ausgesprochen werden. Auf eine Repräsentanz aller Personengruppen unter der Belegschaft hinzuarbeiten, die dem gesellschaftlichen Anteil in der Bevölkerung entspricht, bleibt weiterhin ein übergeordnetes Ziel.
  • Individuum im Zentrum: Es ist wichtig, die Angesprochenen als Individuen wahrzunehmen und zu verstehen, welche Bedürfnisse sie haben. Statt einer Sichtweise „der „Landeszuschreibung- Opa geht halt nicht wandern, was kann man da schon tun…?“ – führt eher die Sichtweise „Wo finden wir Menschen, mit denen wir ins Gespräch kommen können, wie sie ihre Freizeit gestalten?“ zum Ziel. Oft spüren Betroffene schon sehr früh, dass sie lediglich als Repräsentant einer Gruppe angesprochen werden und nicht als Person.
  • Suche nach Verbindendem: Ebenso führt die Suche nach verbindenden Fragen aus einer Haltung der Wertschätzung weiter. „Wie verbringt Ihr die Weihnachtsfeiertage?“, gerichtet an alle Anwesenden lädt zu Austausch ein statt der Frage „Feiert Ihr Weihnachten?“ gerichtet an eine Person, die vermeintlich kein Weihnachten feiert und das womöglich mit einem testenden Unterton, ob der Angesprochene „tolerant“ ist oder nicht.

Viele dieser Vorschläge kennen Multiplikator:innen und andere Prozessverantwortliche aus ihrer beruflichen Ausbildung oder Erfahrung. Bei den üblichen Reflexionsrunden regelmäßig die eigene Positioniertheit einzubeziehen ist leicht in den professionellen Alltag einbaubar.

Unterschiedliche Herausforderungen auf Grund von Positioniertheit

Auch wenn die obenstehenden Kommunikationsstrategien für Alle hilfreich sind, kommen auf die unterschiedlich positionierten Vertreter:innen spezifische Herausforderungen hinzu.

Aus Sicht der weißpositionierten Menschen:

  • Woher bekomme ich das Wissen, wenn ich Angehörige einer Gruppe nicht direkt fragen kann, weil ich niemanden kenne?
  • Wenn ich Angehörige einer Gruppe fragen könnte, wie kann ich das so machen, dass ich durch Othering ungerechte Machtverhältnisse nicht reproduziere?
  • Welches Wissen ist unter machtkritischen Gesichtspunkten wirklich relevant?
  • Wenn ich Angebote partizipativ und teilhabeorientiert vorantreiben will, wie kann ich eine möglichst sichere Umgebung für Betroffene ermöglichen?
  • Durch welche Gewohnheiten (z. B. Feiertagsgrüße) werden welche Gruppen unsichtbar gemacht und/oder zum Schweigen gebracht?
  • Wie kann die Organisation trotz dieser Einschränkungen solidarisch wirksam sein?

Aus Sicht der Betroffenen:

  • Bin ich in einer Organisation, die mich als Token nutzt?
  • Wieviel und was genau möchte ich von mir wann und wem zeigen?
  • Welche Form der Solidarität kann ich umsetzen?
  • Was brauche ich, um mich zu reflektieren und zu stärken? Welche Räume und Menschen kommen dafür in Frage?

Herausforderungen auf struktureller Ebene

Interkulturelle Öffnungsprozesse und rassismuskritische Organisationsentwicklung sind, ähnlich wie Gendermainstreaming, als Querschnittsthemen gesamtgesellschaftlich wichtig. In Arbeitskontexten sollen sie auch auf struktureller Ebene wirken und brauchen daher eine Kommunikation über Abteilungsgrenzen hinweg. Die Erfahrung der Modellstandorte zeigt, dass eine gute Vernetzung ein wichtiger Erfolgsfaktor ist.

  • Wie wird die Zusammenarbeit mit anderen Ämtern, die für Inklusion, Integration zuständig o. ä. sind, gestaltet?
  • Wie ist der Kontakt zu zivilgesellschaftlichen Akteuer:innen? Und welche Perspektiven werden dadurch eingebunden?

Aus rassismuskritischer Perspektive stehen die Fragen nach passenden Reflexionsräumen im Vordergrund:

  • Wer braucht welche Räume?
  • Gibt es safer spaces, diskriminierungsfreiere Reflexionsmöglichkeiten, die auch während der Arbeitszeit angeboten werden?

Auch bei der Personalpolitik wird die Haltung einer Organisation sichtbar.

  • Gibt es ein Bekenntnis zu und Maßnahmen für mehr Vielfalt?
  • Lädt beispielsweise bei Stellenausschreibungen ein Zusatz benachteiligte Menschen ein?
  • Wird die Organisation als lernende Organisation dargestellt? Oder soll Vielfalt nur der Organisation mehr Erfolg bringen?

Tipp

Wer den eigenen rassismuskritischen Standort intensiver beurteilen möchte, kann hier sehr viele hilfreiche Impulsfragen finden:
https://www.idaev.de/themen/rassismuskritische/selbstcheck

← zurück zur Übersicht