Projekte fördern rassimuskritische Organisationsentwicklung(en)

Veröffentlicht am 5. Dezember 2024

Ein anderer Rückblick auf die Entwicklungen im Projekt „Generationen-Kulturen-Vielfalt“ der Bundesarbeitsgemeinschaft Seniorenbüros (BaS)

Seniorenbüros sind sehr heterogen aufgestellt. Oftmals sind sie direkt an der Kommune, andernorts bei freien Trägern angegliedert. Jedes Seniorenbüro ist somit für sich eine Organisation. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Seniorenbüros e.V. (BaS) ist der Zusammenschluss der Seniorenbüros, sie vertritt die rund 500 Seniorenbüros bundesweit. Der Begriff Organisationsentwicklung (OE) passt also an dieser Stelle auf zwei verschiedene Aspekte.

Der Gedanke, dass Projekte Organisationsentwicklungen befördern, trifft zu, wenn man unter OE versteht, dass alle Beteiligten gemeinsame Lernprozesse durchlaufen, um Veränderungen anzustoßen und umzusetzen. Die Schnittmenge zum Thema Organisationsentwicklung im Rahmen von Generationen-Kulturen-Vielfalt wird hier am deutlichsten.

Die BaS führte von 2020 bis 2024 im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ das Projekt „Generationen-Kulturen-Vielfalt“ durch. An insgesamt elf Standorten erprobten Seniorenbüros intergenerative und kulturenübergreifende Angebote, um Menschen miteinander in Kontakt zu bringen. Finanziert wurde das Projekt vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) aus Mitteln des Bundesprogramms „Demokratie leben!“. Die Ziele des Programms bestanden und bestehen darin, Demokratie zu fördern, Vielfalt zu gestalten und Extremismus vorzubeugen.

Mit den Anforderungen der Fördermittelgeber im Blick machten sich die beteiligten Seniorenbüros der BaS auf den Weg und mussten auf Grund von Corona zunächst digitale Methoden meistern, um die Zielgruppen zusammenzubringen. Fragen, wie Menschen diversitätssensibel angesprochen und dargestellt werden können, wurden von Anfang an in Fortbildungen und Netzwerktreffen diskutiert.

Mit der Zeit ergaben sich mehrere ineinandergreifende Erkenntnisse:

  1. „Die Migranten“ gibt es so nicht. Menschen unterschiedlicher Herkünfte sind so heterogen wie Deutsche ohne Zuwanderungsgeschichte. Alle Beteiligten brauchen die Bereitschaft, die eigene Wahrnehmung und ihren Sprachgebrauch weiterzuentwickeln und sich für diese Vielfalt zu öffnen.
  2. Gut gemeint ist nicht gut gemacht: Projekte für vulnerable Zielgruppen zu gestalten, braucht Dialoge mit eben diesen Zielgruppen. Bei akut Geflohenen sind im Vergleich mit länger in Deutschland lebenden Menschen mit internationaler Geschichte die Bedürfnisse, Wünsche und Ziele unterschiedlich. Es gibt auch Gemeinsamkeiten und Ressourcen, die sich mit denen von Einwohner:innen ohne Zuwanderungsgeschichte überlappen. Angebote sind dann erfolgreich, wenn sie intersektionale Aspekte mitdenken.
  3. Interkulturelle Kompetenzen und interkulturelle Öffnungsprozesse führen dann zum Erfolg, wenn gesellschaftliche Machtstrukturen berücksichtig werden. Interkulturelle Öffnung erfordert heutzutage, sich selbst rassismuskritisch zu reflektieren. Die von der BaS angebotenen Fortbildungen zu diesem Thema beschrieben alle Projektbeteiligten als gewinnbringend für ihren persönlichen und beruflichen Alltag.
  4. Es wurde dabei deutlich, dass Seniorenbüros mehrheitlich von und für weiß-positionierte Menschen attraktiv sind, meist mit guter Ausbildung und stabilen Einkommensverhältnissen. Es braucht von haupt- und ehrenamtlich Tätigen die Bereitschaft, ein gutes soziales Klima zu erzeugen. Das kann auch bedeuten, neue und flexible Geh- und Mitbring-Strukturen zu ermöglichen.
  5. Neben dem Blick auf die individuelle Positioniertheit wurde damit deutlich, dass alle Akteur:innen auch Teil von vorhandenen Strukturen sind, und Rassismus auch eine strukturelle Veränderung braucht.

Projekte flankieren rassismuskritisches Handeln der Organisationen

Diese fünf Erkenntnisse aus dem Projekt veränderten das Handeln innerhalb der Organisationen – sowohl in den Standorten als auch in der BaS.

Rassismus hat seine historischen Wurzeln im Kolonialismus, der von Europa ausging. Zeitgleich mit dem Kolonialismus wurden Werte und Grundannahmen entwickelt, die bis heute in der Gesellschaft unbewusst wirksam sind. Dies prägt unser Verhalten. Auch wenn seit der Ermordung George Floyds und den darauffolgenden weltweiten Protesten viele Dinge leichter angesprochen werden können und auch wenn sich mehr und mehr Individuen selbst reflektieren, bleibt die Herausforderung bestehen, dass sich Organisationen auch strukturell verändern müssen, um Zugänge für alle Menschen dieser Gesellschaft zu ermöglichen.

Durch Projekte finanzierte Maßnahmen folgen spezifischen Themen und unterliegen strukturellen Notwendigkeiten. Organisationsentwicklungsprozesse werden eigentlich top down initiiert, weil die Führungsspitze eine Notwendigkeit identifiziert. Seniorenbüros sind Teil von Kommunen, Wohlfahrtsverbänden oder gemeinnützigen Vereinen. Die Projektleiterinnen an den Modellstandorten standen in den seltensten Fällen an der Spitze der Kommune oder der Abteilung, wurden aber von den Akteur:innen dort inhaltlich unterstützt. Sie konnten Informationen und Bedarfe, die sie durch das Projekt erkannten, an die Organisation zurückspielen. Aus rassismuskritischer Perspektive ist das insofern interessant, weil dadurch ein Kanal eröffnet wird, durch den Informationen aus der Perspektive von benachteiligten Personengruppen eine Organisation erreichen.

Die persönliche Haltungsänderung machte sich im Alltag durch den veränderten Zugang zu neuen Netzwerkpartner:innen bemerkbar. Die Verstetigung der der Netzwerkarbeit förderte Dialoge mit Menschen, die bisher in der Arbeit von Seniorenbüros kaum berücksichtigt worden waren. Der Fokus verschob sich dahingehend, dass bewusst immer wieder überprüft wurde, ob die unterschiedlichsten Zielgruppen sich eingeladen und abgeholt fühlten.

Die Beteiligten äußerten immer wieder, dass sich die Qualität ihrer Arbeit veränderte. Themen, die alle Gruppen gleichermaßen begeistern, führten zu gelungenen Begegnungen von Menschen unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher Einwanderungsgeschichten und anderen Unterscheidungsmerkmalen.

Eine realisierbare Standortbestimmung für Seniorenbüros

Rassismus zu bekämpfen war allen Beteiligten des Projektes von Beginn an ein persönliches Anliegen. Diese Anliegen jedoch auch in der eigenen Institution so umzusetzen, dass sich eine interkulturelle Öffnung dauerhaft einrichten lässt, ist ein langer Weg. Die verschiedenen Prozesse, die dazu benötigt werden, sind gut in diesen Publikationen nachzulesen.

https://www.idaev.de/publikationen/produkt-details/rassismuskritische-oeffnung

https://www.idaev.de/fileadmin/user_upload/pdf/publikationen/Reader/Broschuere_RKOE_II_Screenversion_final.pdf

Die Erziehungswissenschaftlerin Karima Benbrahim zeigt in dieser Broschüre auf, dass Rassismuskritik in Organisationen institutionalisiert und als Querschnittsaufgabe verankert werden sollte.

Dass strukturelle Veränderungen alleine nicht ausreichen, diskutieren Paul Mecheril und Matthias Rangger in dem Buch „Handeln in Organisationen der Migrationsgesellschaft“. Selbst wenn Strukturen und Gesetze sich ändern, braucht es ein anderes Wahrnehmen, Denken, Urteilen und Handeln der Mitglieder in diesen Organisationen.

Die gute Nachricht: Damit kann man auch beginnen, ohne dass es ein großangelegtes Change-Management braucht. Die Projekterfahrungen haben gezeigt, dass über die neuen Kompetenzen Zielgruppen erreicht werden konnten, die vorher weniger oder gar nicht erreicht wurden. In Seniorenbüros gehören Begegnungsangebote zum Alltag. Die Qualität dieser Angebote zu verbessern, wirkt sich positiv für die Organisation, aber auch für die Menschen außerhalb der Organisationen aus.

Das Projekt „Generationen-Kulturen-Vielfalt“ wurde extern von Martin Rüttgers vom IDEMO-Institut für Demokratiepolitik und Organisationsberatung evaluiert.

Die Evaluierung bestätigt nochmals detaillierter die oben genannten Punkte. Übereinstimmend berichten die Beteiligten z.B. in qualitativen Interviews, dass vor allem das Kooperationsmanagement mit Netzwerkpartnern qualitativ inklusiver gestaltet werden konnte.

Dazu konnten die Projektmittel beitragen, weil diese Gelder sowohl für Sach- als auch für Personalkosten ausgegeben werden konnten.

Ebenso wurde durch die Projektmittel möglich, dass ein Wissenstransfer innerhalb der Organisation und in die Kontakte mit den zivilgesellschaftlichen Akteur:innen möglich wurde, denn Netzwerkarbeit, Lernen und Wissenstransfer benötigen Zeit, Darüber hinaus konnten die beteiligten Standorte neue Formate ausprobieren, die alle zur interkulturellen Öffnung beitrugen.

Auch wenn die Herausforderungen von „Projektitis“ zu Recht kritisch gesehen werden, zeigt das Beispiel von Generationen-Kulturen-Vielfalt, dass Projektfinanzierungen, die genug Spielraum lassen, zu Veränderungen in den Alltagshandlungen in Organisationen beitragen.