Werkzeugkoffer

Wie unterscheiden sich Vorurteile bei Altersdiskriminierung und Rassismus?

Durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz sollen Benachteiligungen aus Gründen der Rasse, ethnischen Herkunft und Alter (u.v.m.) gleichermaßen vermieden oder beseitigt werden. Die Hintergründe, die Vorurteile bei Altersdiskriminierung bewirken und die älter werdende Menschen gesellschaftlich benachteiligen, unterscheiden sich von den Hintergründen der Diskriminierungsformen wie Rassismus oder Sexismus unterscheiden. Erstere stellt eine soziale Kategorie dar, die über die Lebensspanne veränderlich ist und keinen globalen, kolonialen oder patriarchalen Hintergrund in einem gesellschaftlichen Ausbeutungssystem hat.

Diese Unterschiede wirken sich auf die Arbeit in Seniorenbüros, und vor allem bei der Ansprache von Menschen unterschiedlicher Herkünfte und auch bei dem Engagement in den Seniorenbüros aus. Wenn Seniorenbüros tatsächlich Alle erreichen möchten und kultursensible und altersübergreifende Angebote durchführen wollen, dann müssen Menschen in ihrer Vielfalt im Mittelpunkt von Kommunikation und Angeboten stehen.

Wenngleich die Prinzipien, Vorurteile mittels Kontaktgelegenheiten abzubauen, bei allen Diskriminierungsformen gleich ist, ist die Auswirkung von Rassismus spezifisch und führt zu speziellen Anforderungen in der Umsetzung.

Kurzer Exkurs: Subtiler Rassismus

Seniorenbüros kennen sich mit dem Thema Altersdiskriminierung und den damit verbundenen Prozessen gut aus. Im Verlauf des Projektes hat sich jedoch gezeigt, dass Rassismus als Teil einer kultursensiblen Organisation trotz guten Willens ein wichtiges Reflexionsthema ist und bleibt. Damit ist nicht der offensichtliche menschenverachtende Rassismus gemeint, der sich in Parolen äußert, sondern der subtile Rassismus. Die meisten Menschen würden sich selbst nicht als Rassist:innen bezeichnen. Dies schützt sie jedoch nicht davor, unbewusst rassistisch zu handeln, denn jede:r Mensch in Deutschland ist rassistisch sozialisiert worden. Gemeint ist damit, dass durch die Kolonialgeschichte, global wie auch in Deutschland, Einstellungen, Werte, Vorstellungen über andere Länder und vieles mehr unbewusst weitergegeben wurden.

Wie dies genau geschieht, zeigt sich bei einem Blick auf den Prozess des Othering. Es ist klar, dass Vorurteile zu Diskriminierung führen, aber nicht jede Diskriminierung und jedes Vorurteil reproduzieren Rassismus. Dies geschieht erst durch ein komplexes Zusammenwirken von historischen Gegebenheiten und Kommunikationsprozessen.

Wer hierzulande weiß-positioniert mit einem deutschen Pass sozialisiert wurde, hat viele Privilegien, ohne sich dessen bewusst zu sein. Menschen, die auf Grund ihres Äußeren als nicht dazugehörig gelesen werden können und/oder einen nicht-europäischen Pass haben, bleiben diese Privilegien, zu denen bspw. gute Bildung, Reisen und weitere Selbstverständlichkeiten gehören, verwehrt. Die gesellschaftliche Machtposition entsteht automatisch und führt zur relevanten Frage: Wie kann man sich der eigenen Privilegien bewusst werden?

Definition

Othering beschreibt die Grenzziehung/Abgrenzung einer einzelnen Person oder Gruppe („Wir“) von einer anderen Gruppe („die Anderen“). Dabei wird die nicht-eigene Gruppe als „anders“ und „fremd“ kategorisiert. Sie weicht von der „Norm“ ab und wird somit ausgegrenzt.
(zitiert nach https://www.vielfalt-mediathek.de/othering)

Was genau ist „Othering“?

Othering entsteht durch drei Faktoren:

  • Kategorisierung: Es werden vermeintlich unterschiedliche Gruppierungen konstruiert.
  • Hierarchisierung: Die mit Macht ausgestattete Person bestimmt, wer in der sozialen Hierarchie unten steht.
  • Ausgrenzung: Die mit Macht ausgestattete Person bestimmt, wer dazugehört und wer nicht. Dies führt in der Folge zum gesellschaftlichen Ausschluss benachteiligter Personengruppen.

Während der Kolonialzeit geschah das teilweise mit brutaler Gewalt. Die Wissensbestände aus dieser Zeit sowie viele Werte und Verhaltensweisen sind weitertradiert worden und haben sich in Institutionen verfestigt. Dadurch wurden sie Teil subtiler, oftmals nicht gewollter, Rassismen im Alltag. Auch ohne negative Absicht führen diese Mechanismen zu Benachteiligungen.

Im Rahmen des Projektes Generationen-Kulturen-Vielfalt haben die beteiligten Standorte immer wieder reflektiert, wie diese ungewollte Machtausübung verhindert werden kann – wie also Othering vermieden oder verringert wird. Im Ergebnis wurde dadurch die Qualität der Arbeit von interkulturell geöffneten oder sich öffnenden Seniorenbüros verbessert.

Info

Die Literaturwissenschaftlerin Gayatri Chakraborty-Spivak systematisierte in ihrem Artikel „Rani of Sirmur“ das Konzept Othering in drei Schritten. Als Konzept wurde es vorher von Edward Said in seinem Buch „Orientalismus“ beschrieben. Dies führte zu einem Paradigmenwechsel in vielen Kultur- und Sozialwissenschaften sowie zu neuen Studiengängen. Sie gilt als Mitbegründerin der postkolonialen Theorie.

Beispiele für Othering im Alltag

„Wo kommen Sie her?“ „Wo kommen Sie wirklich her?“ „Sie können aber gut Deutsch sprechen!“ „Ihr esst Nutella zum Frühstück? Als ich in der Türkei war, gab es im Hotel immer …“ sind mittlerweile die Standardbeispiele, um aufzuzeigen, wie Vorannahmen über vermeintlich „Andere“ zu Ausschlussgefühlen bei Betroffenen führen. Es kann auch zur Folge haben, dass Betroffene die Zuschreibungen annehmen und verinnerlichen – mit negativen Folgen für die Person – und „brav“ – sprich sozial erwünscht – antworten.

Im Hintergrund dieser Vorannahmen gibt es ein Bild von dem, was „man“ in Deutschland zum Frühstück denn „normalerweise“ isst. Jeder Mensch, der von dieser Norm tatsächlich oder vermeintlich abweicht, gilt in der Folge als nicht zugehörig. Othering entsteht in solchen Fällen nicht durch die Frage an und für sich, sondern durch die Kombination von verschiedenen Faktoren:

  • Die Fragen werden basierend auf Vorannahmen gestellt, ohne einen Menschen zu kennen, bspw. auf Grund von „Interesse“. Es wird jedoch nicht hinterfragt, ob der andere Mensch dieses Interesse beantworten möchte. Oft werden die auf Vorurteilen basierenden Fragen aufgrund von Äußerlichkeiten, wie nicht-weißer Hautfarbe, religiöser Kleidung, traditioneller Tracht, nicht-deutscher Namen oder nicht-deutscher Sprachen gestellt.
  • Die fragende Person gehört dabei der Dominanz-Gesellschaft an und ist sich häufig nicht darüber klar, dass unterschwellig ein Ausschluss von der Mehrheitsgesellschaft (re-)produziert wird.
  • Die eigene Positionierung und der Kontext werden häufig nicht mitgedacht. Es ist ein Unterschied, ob eine Person, die zu den ehemaligen Kolonialmächten gehört, mit einem Menschen spricht und ihn dabei als fremd markiert, oder ob die fragestellende und angesprochene Person die gleiche Positionierung haben. Im ersten Fall wirken gesellschaftliche Ungleichheiten, während dies im zweiten Fall nicht geschieht. Verändert sich der Kontext, bspw. der Wartebereich an einem internationalen Flughafen, wirkt die Frage nach der Herkunft unter Reisenden eher auf Augenhöhe, während sie außerhalb eines Flughafens einen ausgrenzenden Effekt haben kann, selbst wenn dies nicht der Absicht entspricht.

Die Beispiele zeigen, dass gesellschaftliche Machtverhältnisse auch über Kommunikation ausgehandelt werden. Dass Kommunikation nicht nur intergenerativ besser gelingt, ist das Anliegen von kultursensiblen Seniorenbüros. Dieser Werkzeugkoffer bietet Tipps an, bei Aktionen und Maßnahmen die Kommunikation mit kleinen Veränderungen so zu gestalten, dass ein Abbau von Benachteiligung aller Gruppierungen wahrscheinlicher wird.

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